Ein Vater zwischen Macht und Minderwertigkeit
Nicola van Bebber, Molsberg
Der Vater wirkt ein wenig amputiert. Hängenden Kopfes verweist er
mutlos auf eine gewisse Unvollständigkeit. Sehen sie so aus, die
neuen Männer, die Väter der Zukunft, Produkte der Emanzipationsbewegung,
scheinbar willenlos, ausgeliefert den übergroßen Erwartungen,
mit denen die Frauen der Neuen Zeit sie überfrachten? Wissend, immer
"Father" zu bleiben, weil ihnen zur Mother" doch Entscheidendes
fehlt? Oder ist es einfach nur ein zaghaftes Sich-Herantasten an neue
Geschlechter-Rollen?
Das wäre die eine Weise, sich dem Objekt "Father" zu nähern,
welche jetzt auf ganz eigene Weise provokant - dem pretiösen
Oktogon am Rande der Molsberger Schlossanlage neue Sichtweisen aufzwingt.
Heather Sheehan, eine jetzt in Köln lebende Künstlerin aus New
York, hat dieses Objekt kreiert.
Father" besteht aus Filz und Vaseline. Materialien, die beim europäischen
Betrachter unweigerlich Beuys-Assoziationen auslösen. Empört
will der Besucher zwanghafte oder auch einfach nur publikumswirksame Imitation
reklamieren - doch Heather Sheehan ist allein auf Grund ihrer Herkunft
jedweder Effekthascherei völlig unverdächtig: "In Amerika ist
Beuys lange nicht so bekannt, längst nicht die Kultfigur, wie er
es in Europa war und ist", sagt Emmanuel Graf von Walderdorff, der
Initiator der Ausstellungsreihe im Molsberger Pavillon. Auch Father"
hat sämtliche Eigenschaften, die bislang auch alle anderen Exponate
im Pavillon aufweisen: Das abstrakte Körperobjekt ist in dieser Form
noch nirgendwo anders ausgestellt worden Sheehan hat es eigens für
das Westerwälder Oktogon konzipiert.
So hängt er nun dort: Eigenwillig, ein wenig trotzig, vor allem
aber auch eben mutlos. Filz als hautähnliches Material formt seine
abstrakt-körperliche Hülle, gefüllt und bestrichen ist
sie mit Vaseline, die auch aus einer Öffnung heraustropft. Vaseline,
ein durchaus nährendes Naturprodukt tropft auf ein Behältnis,
in dem sich eigenartige, kleine Filzobjekte zu bewegen scheinen.
Der Pavillon, durch die Lichtinstallationen einer früheren Ausstellung
auch schon einmal zum "Tempel der himmlischen Weisheit" stilisiert,
mutiert mit diesem abstrakten Objekt eher zur Nistzelle der Aliens"
- so sieht es zumindest Graf Walderdorff: "Es scheint, als seien Außerirdische
hier gelandet. Man kennt die Mutter dieser Wesen nicht. Man weiß
nicht: Sind sie gut- oder bösartig was wird sich überhaupt aus
ihnen entwickeln."
Walderdorff, der in Köln eine Galerie betreibt, sieht in "Father"
einen Verweis auf die "Gen-Welt, mit der wir uns heutzutage auseinander
setzen müssen." Vor dem Hintergrund Gentechnik muten die kleinen
Wesen im Filzkorb jedenfalls an wie gnadenlose Versuchsobjekte. Steht
die Vaseline als Kontrapunkt für die Käseschmiere der Neugeborenen,
hier eben als künstlerisches Ersatzprodukt für ein
ungeliebtes, zur Sache reduziertes Etwas? Also doch eine unwillkürliche,
unbeabsichtigte Parallele zu Joseph Beuys? Immerhin sollten in den Installationen
des legendären Kunstprofessors aus Kleve grauer Filz und tierische
Fettblöcke Schutz- und Überlebensstrategien symbolisieren...
In jedem Fall: Eine nachdenkliche Botschaft. Fest steht: Es geht um
Macht, aber auch um Fürsorge - in Molsberg allerdings mit einer neuen
Perspektive. Denn bislang kreisten die haptischen Objekte Heather Sheehans
in abstrahierter Form um Weiblichkeit und den Mythos Mutterschaft - bis
dato spielten Väter noch keine Rolle...
In Kunstkreisen wird Sheehan ein reduzierter und sprechender Umgang
mit Material, Form, Farbe und Thema", ja geradezu eine bildhauerische
Haltung attestiert. In den klaren, kühlen architektonischen Grundzügen
des Molsberger Pavillons gelingt dies auf besondere Weise: Von weitem
vermutet man in Father" gar eine Marmorskulptur. Doch bei näherem
Hinsehen pervertiert die Künstlerin gewohnte Sichtweisen - nicht
nur in Form und Ausgestaltung, sondern eben auch im Blick auf da6 Material.
Der Filz, eine mindestens seit 7000 Jahren bekannte Naturfaser, ist älter
als die barocke Schlo6san-lage - so alt wie die Problematik von Macht
und Minderwertigkeit Annäherung und Abhängigkeit zwischen Mann
und Frau? Wie dem auch sei - "Father" hat seinen ganz individuellen Bezug
zu dem kleinen Gebäude, das inmitten der Plantanen der Schlossallee
und dem nahen Wald liegt.
Dies legt auch die zufällige Parallelität einer Lektüre
mit dem Sujet der Ausstellung nahe: Ich liebte den Geruch der Jägerkleidung,
der Filz hatte sich mit dem Geruch des Walds, des Laubs, der Luft und
des verspritzten Bluts vollgesogen ... Alles riecht so sauber, wie in
einer anderen Heimat, die es am Anfang des Lebens und der Dinge gab ...
das Licht lässt die Decke über dem Wald aufgehen als begänne
der geheime Mechanismus auf dem Schnürboden des rätselhaften
Welttheaters zu funktionieren", heißt es in Sandor Marais'
"Die Glut".
Was also auf den ersten Blick rätselhaft, manchem sicher auch unpassend
oder gar abstoßend erscheint, hängt hier vielleicht doch richtig:
"Der Wald riecht so roh und wild, als käme jedes organische Wesen,
Pflanze, Tier und Mensch im großen Schlafzimmer der Welt allmählich
zu sich und atmete seine Geheimnisse und bösen Gedanken aus. Wind
kommt in diesem Augenblick auf, vorsichtig, wie der Seufzer des Schlafenden,
dem die Welt, in die er geboren wurde, wieder einfällt..."
Es gibt eben auch eine andere rein physisch-emotionale Art und Weiße,
"Father" - offensichtlich ebenso ätherisch wie erdgebunden -
ein wenig näher zu kommen...
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